TH-Studenten entwerfen Szenario für den Weg von Max Bögl zur Energieautarkie
In einer Online-Energiekonferenz mit rund 70 Teilnehmenden haben Masterstudierende der Technischen Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm (TH) vorgestellt, wie ein fast fünf Quadratkilometer großer Bauindustrie-Betrieb energieautark werden kann.
Die Firma Max Bögl aus Neumarkt an der Oberpfalz ist einer der größten deutschen Baukonzerne mit 6.500 Mitarbeitenden an 35 Standorten und ca. 1,7 Mrd. Euro Jahresumsatz, die nicht nur im regenerative Energieanlagenbau, sondern auch den eigenen nachhaltigen Betrieb verbessern will. Das größte Bögl-Werk in Neumarkt-Sengenthal mit 3.500 Mitarbeitenden hat einen Jahresstromverbrauch von 26 GWh. Die Eigenerzeugung mit Wind- und Solarstrom-Kraftwerken beträgt bereits 27 GWh Ökostrom jährlich; ein Stromspeicher von 2,2 MWh Kapazität gleicht einiges an Über- und Unterdeckung aus.
Trotz des bereits jetzt bilanziellen Ökostromüberschusses ist das erklärte Ziel eine sichere Autarkie für das Werk. „Wir wollen dieses Ziel möglichst schnell und wirtschaftlich umsetzen“, erklärt Josef Bayer, „Leiter Research & Development Energy Systems“ bei Bögl.
„In unserem laufenden Forschungsprojekt INZELL werden Erzeugung und Speicher so intelligent vernetzt, dass die Systeme stabil zu fahren sind. Bis 2028 wollen wir eine 100%ige CO2-neutrale Eigenversorgung. Zurzeit wird auch mit Wasserstoff (H2) geplant“, beschrieb Josef Bayer, was Bögl mit Partnern bereits vorantreibt. Bayer hatte mit Professor Dr.-Ing. Matthias Popp, Schwerpunktverantwortlicher für Energietechnik an der TH-Nürnberg und seinen Masterstudierenden die Aufgabenstellung vorher genau abgestimmt: Sie sollten „konkret definierte Szenarien durchrechnen, andere Ideen liefern“, ohne Blick auf deren spätere 1:1-Umsetzung.
Die Basis der Berechnungen sollte ein von ihnen gemeinsam entwickeltes Analyseprogramm sein. Damit war ihnen eine Wetter- und Energie-Vorausschau für drei Jahre möglich. „Das Programmieren war ein langer Prozess“, gab Christoph Ackermann bei der Präsentation zu. Doch das erstellte Programm bot die Chance, Antworten auf die mit Bögl abgestimmten Forschungsfragen zu geben und die direkt vergleichbaren Zahlen gegenüberzustellen:
- Welche Kombination aus einem Ausbau der Energiesysteme liefert dem Unternehmen die niedrigsten Stromgestehungskosten?
- Wie können Überschüsse marktorientiert bei höchstmöglichen Strompreisen in das Netz eingespeist werden?
- Lässt sich mit den Verkaufserlösen ein Kostenvorteil gegenüber dem Strombezug aus dem Versorgungsnetz erzielen?
Die Studierenden hatten dabei folgende Vorgaben zu beachten:
Die vorhandenen drei Windenergieanlagen werden ohne weiteren Ausbau weiterbetrieben. PV soll in dem Maße zugebaut werden, wie das zu einer Senkung der Stromgestehungskosten beiträgt. Als flexible Komponenten zur Überbrückung von Defizitphasen und zur erlösoptimierenden Netzeinspeisung von Überschüssen stehen Lithium-Ionen-Batterie, Power to Gas to Power (P2G2P) und ein flexibles Biomasse Dampfkraftwerk zur Verfügung. Ein Monoszenario verwendet dabei nur eine der drei flexiblen Komponenten, also entweder allein eine Batterie, allein ein Biomasse Dampfkraftwerk oder allein ein Power to Gas to Power System. Paarszenarien setzen zwei der drei erwogenen flexiblen Systeme ein. Das Mixszenario nutzt alle drei flexiblen Systeme
Ackermann erklärte das dazu entwickelte Analyseprogramm zur Bestimmung der Stromgestehungskosten für die möglichen Ausbauszenarien. Dabei wird auch feststellt, ob die jeweilige Systemkombination aus Windenergieanlagen, PV-Ausbau und angesetzten flexiblen Einheiten in der Lage gewesen wäre ohne Strombezug von außen, den Verbrauch lückenlos zu den Realdaten des analysierten Dreijahreszeitraums zu decken.
Julian Plautz befasste sich mit einem „Monoszenario Batterie“ sowie einem „Paarszenario Batterie & Dampf“. Dazu konnte er bei beiden Ansätzen die PV-Leistung variieren. Dabei stellte sich das Batterieszenario mit einem Stromgestehungspreis von mindestens knapp 52 C/kWh als „nicht für wirtschaftliche CO2-neutrale Versorgung geeignet“ heraus. Mit einem zusätzlichen Hackschnitzel-Dampfkraftwerk als Variable ermittelte er dagegen wesentlich näher an der Wirtschaftlichkeit liegende etwa 27 C/kWh.
Patrick Scholz analysierte das „Monoszenario P2G2P und dessen Kombination mit einer Batterie“, beide ebenfalls gekoppelt mit der Variation der PV-Kraftwerksleistung. In beiden Fällen lag der Knackpunkt „beim Wirkungsgrad der Rückverstromung“ von H2, so Scholz. Gerade mal 28,2% weise heute der H2-Kreislauf von der Erzeugung per Elektrolyse über die Speicherung bis zur Rückumwandlung mit marktverfügbaren Ottomotoren auf, hat Scholz ermittelt.
Hier wie auch bei den Kosten für H2-Speicher sieht er noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. Wobei sich das Kombi-Szenario mit 25,9 C/kWh sogar noch etwas wirtschaftlicher herausgestellt hat als das monolithische P2G2P.
Das „Monoszenario Dampf“ und die Kombi „Dampf plus P2G2P“ hat Carolin Aßmann untersucht. Aus ihrer Sicht ist aber ein Dampfkraftwerk alleine keine Lösung, da im Falle einer (notwendigen) Revision nicht genügend Energie zur Verfügung stünde. Deshalb käme nur das „Paarszenario Dampf plus P2G2P“ in Frage, auch wenn die Stromerzeugung mindestens 25,69 C/kWh kosten würde.
Zuletzt stellte Janik Böhm ein „Mixszenario“ vor, also die Kombination aus H2-Erzeugung, Batteriespeicher und Holz-Dampfkraftwerk und variabler PV-Leistung. Sein bei diesen vier Freiheitsgraden ermittelter niedrigster Stromgestehungspreis kam auf 25,1 C/kWh. Er bezeichnete den untersuchten Zeitabschnitt als „Worst-Case-Szenario: Eine über Drei-Wochen-Flaute von Sonne und Wind ab Mitte November des Jahres 2020 führt zu einem hohen Speicherkapazitätsbedarf.“ Deshalb erfordern die Investitionen in die P2G2P-Anlage sowie in die Batterie zusammen bereits 15 Mio. Euro– „bei heutigen Preisen“, wie er anmerkte. Mit zusätzlich 23 MW PV-Anlage, 3 MW Dampfleistung, einer 3 MW-Elektrolyse und einer 14 MWh Batterie ließe sich das Werk allerdings wie gewünscht zur Energie-Insel umgestalten.
Dieses Mix-Szenario erwies sich als das insgesamt wirtschaftlichste aller durchgerechneten Mono- oder Multiszenarien. Doch auch das könnte nicht mit den aktuellen Industriestromkosten von etwa 17 C/kWh konkurrieren, mussten am Ende die fünf Studierenden feststellen.
Trotzdem war Bögl-Forschungsleiter Joseph Bayer zufrieden mit den „guten Ausarbeitungen. Wir hatten es vielleicht etwas besser erhofft. Aber noch sind nicht alle Optimierungsmöglichkeiten ausgelotet. Wir sind weiterhin sehr zuversichtlich, dass wir die autarke, sichere, regenerative Energiezelle in den nächsten Jahren umsetzen können.“
Auch Professor Matthias Popp, im VDI-Bezirksverein Bayern Nord-Ost ehrenamtlicher Leiter des Netzwerkes Energie und Umwelt, war sehr angetan von den Leistungen seiner Studierenden. Er fasste seine Eindrücke in einer Mail an die Fünf so zusammen: „Ich hatte den Eindruck, dass unsere Präsentationen gelungen waren. Wir konnten mit unserer Untersuchungsstrategie ein Fenster aufmachen, um Wege zu einer kostenminimierenden, marktorientierten, sicheren, regenerativen, energetischen Selbstversorgung von Industriebetrieben auszuloten.“
Quelle: verändert nach Pressemitteilung VDE/VDI