ENERGIEregion Nürnberg e.V.
01.06.2022

"Energiejahr" thematisierte Wärmewende und Gebäude-Energieeffizienz

Im dritten Teil der Fachveranstaltungsreihe zum Energiejahr von ENERGIEregion Nürnberg e.V., Energie Campus Nürnberg (EnCN) und NKubator am 5. Mai 2022 standen beispielhafte Entwicklungen, Systeme und Projekte aus Nordbayern rund um die Gebäudehülle im Fokus.


Die Referent*innen der Fachveranstaltung "Wärmewende und energieeffiziente Gebäude" im Gespräch. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

„Circa ein Drittel des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfällt auf den Wärmesektor. Jedoch kommen nur 16 Prozent dieser Energie aus erneuerbaren Quellen. Mit nur einem Prozent Steigerung gegenüber dem Vorjahr ist der Handlungsbedarf groß und die Wärmewende noch weit weg“, begrüßte Dr. Jens Hauch, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der ENERGIEregion Nürnberg e.V. und Abteilungsleiter am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien, die rund 80 Teilnehmenden der Online-Veranstaltung. „Angesichts der gerade deutlich ansteigenden Energiepreise könnte das Thema kaum aktueller sein.“

Christian Bernreiter, Bayerns Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, möchte „die Klimaziele sozialverträglich erreichen“, wie er in seinem Grußwort ausführte. „Wir müssen ehrlich sein und sagen, dass unsere Gebäude auch weiterhin Energie benötigen“, stellte er heraus. Dabei kann mit wirtschaftlich vertretbaren Lösungen, wie vom Minister gefordert, viel Energie-Einsparpotential gehoben werden. Das sollten die anschließend vorgestellten Ideen unter Beweis stellen.

Staatminister Christian Bernreiter betonte in seinem Grußwort, dass die Klimaziele im Gebäudesektor "sozialverträglich" erreicht werden müssen. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

Entwicklung höchstwärmedämmender Wandbaustoffe

Prof. Dr. Wolfgang Krcmar, aktueller Vorsitzender der wissenschaftlichen Leitung am EnCN und Arbeitsgruppenleiter an der Fakultät Werkstofftechnik der TH Nürnberg, berichtete an ausgewählten Beispielen, dass die Wärmedämmeigenschaften von Wandbaustoffen durch bisher nicht genutzte Effekte weiter verbessert werden können. Durch geeignete Beschichtung der inneren Hohlräume in Hochlochziegeln könnten deren Wärmedämmeigenschaften um zehn bis 30 Prozent verbessert werden.

Im EU-Projekt „LightCoce“ etwa werden Mauerziegel durch eine gezielte Misch- und Nanoporosierung optimiert. Bei einem Dünnbett-Mörtel und einem Putz-Mörtel sei durch Mikroporosierung und eine spezielle chemische Reaktion eine Verbesserung der Wärmedämmung jeweils um 29 Prozent zu erreichen – bei gleichbleibender bzw. sogar gesteigerter Druckfestigkeit.

Prof. Dr. Wolfgang Krcmar (TH Nürnberg) stellte die Forschungsergebnisse seiner Arbeitsgruppe zu höchstwärmedämmenden Wandbaustoffen vor. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

In einem anderen EU-Projekt namens „Hypobrick“ stellt die Arbeitsgruppe von Krcmar neuartige Geopolymere als Ersatzbaustoffe her. Dabei handelt es sich um kalt erhärtende Bindebaustoffe, bei deren Herstellung u.a. gemahlener Bauschutt aus dem Recycling-Kreislauf der Baustoffindustrie verwertet wird. Das Eigenschaftsspektrum der Geopolymere erlaubt eine Nutzung je nach Einsatzzweck, z.B. als wärmedämmender, verfestigter Schaum oder in nicht porosierter Form als hochfester Ersatz für zementgebundene Baustoffe.

Ein weiteres Highlight aus Krcmars Arbeitsgruppe ist die Nanofaser-Verstärkung hochwärmedämmender Aerogele. Durch den Einbau von Nanofasern während der Synthese gelingt erstmals die Herstellung eines formstabilen und damit handhabbaren Silica-Aerogels mit sehr guten Wärmedämmeigenschaften.

Test- und Vorzeigeobjekt „Herzo Base“

Ein Vorzeigeprojekt, über das gleich mehrere Referierende berichteten, ist „Herzo Base“. Zwischen 2016 und 2017 wurde im Rahmen eines Forschungsvorhabens ein achtspänniger Reihenhaus-Komplex in dem gleichnamigen Herzogenauracher Gemeindeteil errichtet. Neben einer Vielzahl von Firmen war auch die Technische Hochschule Nürnberg mit einer Arbeitsgruppe am Vorhaben beteiligt. Vier der Häuser repräsentieren den Stand der Technik mit hochgedämmten, perlitgefüllten Poroton-Ziegeln in den Wandstärken 42,5 Zentimeter und 36,5 Zentimeter mit U-Werten zwischen 0,15 bis 0,18. Bei den anderen vier Forschungshäusern wurden die Wände zweischalig aufgebaut, mit jeweils einer perlitgefüllten Ziegelwand in einer Steinbreite von 30 Zentimetern und einer außen vorgesetzten, zwölf Zentimeter starken Wärmedämmfassade aus Calostat-gefüllten Poroton-Ziegeln. Dadurch war eine Absenkung der U-Werte auf 0,13 möglich, was einer Verbesserung der Wärmedämmung zwischen 13,3 und 27,8 Prozent entspricht, berichtete TH-Professor Krcmar. Bei Calostat handelt es sich um einen unbrennbaren Hochleistungsdämmstoff aus pyrogener Kieselsäure, der sich u.a. durch eine extrem niedrige Wärmeleitzahl von nur 0,019 W/(mK) auszeichnet.

Referentin Christina Betzold (TH Nürnberg) erklärte das Prinzip der "Herzo Base"-Energiespeicherhäuser. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

Neben der Forschungsgruppe der TH Nürnberg und der RAAB Baugesellschaft mbH & Co KG hätten sich zahlreiche Firmen mit ihren besten Produkten beteiligt, erklärte Krcmar. So erreichten die Gebäude den energetischen Standard KfW-40 plus und generierten einen maximalen Mehrwert für ihre jetzigen Bewohner.

Christina Betzold (TH Nürnberg) und Constance Köpke vom Bauträger RAAB Baugesellschaft mbH & Co KG gingen in ihren nachfolgenden Vorträgen tiefer auf die Herzo Base-Energiespeicherhäuser ein – „ein energieflexibles Gebäude– und Energiekonzept von morgen“. Eine auf Geothermie basierende Heiztechnik mit zwei Wärmepumpen und einer „Boosterpumpe“ sichert die Beheizung der Acht-Häuser-Reihe, die alle mit Solarstrom versorgt werden (durch eine 88 kwp Photovoltaik-Anlage. Mit einem „prädiktiven Betrieb“, also der 24-stündigen Vorausschau auf Wetter- und Verbrauchsdaten, lassen sich bis zu 24 Prozent der Betriebskosten einsparen: Das ist bereits ein konkretes Resultat des wissenschaftlichen Begleitprogramms der normal bewohnten Häuser. Deren Energie-System-Mehrkosten würden sich zwar erst nach etwa 30 Jahren amortisieren. Dafür aber betrügen pro Haus die durchschnittlichen Jahreskosten für Heizung, Strom und Warmwasser laut Betzold aktuell lediglich 350 Euro. Dieses „herausragende Ergebnis des komplexen und innovativen Gemeinschaftsprojekts  war nur durch den Energie-Verbund mit gemeinsamer Haustechnik aller Häuser möglich“, ergänzte Köpke.

Gebäudetechnik wirkt

Professor Dr. Arno Dentel von der Fakultät Maschinenbau und Versorgungstechnik der TH Nürnberg (THN) referierte über Energie- und lastflexible Gebäude- und Anlagenkonzepte. Trotz optimiertem Energiebedarf, hoher Wirkungsgrade der Komponenten, Betriebssicherheit, (künstlicher) Intelligenz und Flexibilität der Technik gelte es jedoch vordergründig, „den Nutzerkomfort im Auge zu behalten“. Ein wichtiges Ziel seiner Projekte sei, Lastspitzen zu vermeiden, zum Beispiel durch den Einsatz von Strom- oder Wärmespeichern. Dentel machte aber auch klar, dass „Gebäudehüllen selber große Wärmespeicher“ darstellen, Lastverschiebungen bis zu einer Stunde sich also kaum auf die Innentemperaturen auswirken. Doch spielen vorausschauende Wetter- wie auch Verbrauchsprognosen für das Lastmanagement wichtige Rollen.

Mit dem „Nürnberg Demonstrator“, zwei Laboren der THN, lassen sich die theoretischen Konzepte zur Integration von Erneuerbaren Energien und Speichern praktisch überprüfen. Doch Prof. Arno Dentel testet auch an echten Wohnobjekten, unter anderem in Herzo Base, aber auch in Nottingham (England) oder in Evora (Portugal): „Wir haben nicht nur dort gezeigt: Es geht! Energieeffiziente Systeme der Gebäudetechnik unterstützen die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben und Klimaziele.“

KI hilft

Noch weiter geht die WissenskapitalEnergie GmbH. Ralph Prudent setzt auf „angewandte Künstliche Intelligenz (KI), um Wärmenetze datenbasiert zu optimieren: „Mit dem von uns eingesetzten System ‚NODA-Building‘ ermitteln wir fortlaufend den an die aktuellen Bedingungen angepassten Wärmebedarf eines Hauses.“ Möglich seien so regelmäßig Energieeinsparungen zwischen 10 und 20 Prozent pro Jahr, wie Prudent an Beispielen unterschiedlicher Größe aus Deutschland und Schweden darstellte.

Für das mit marktgängigen Reglersystemen von Danfoss bis Samson kompatible NODA-Building müsse in der Regel nicht einmal „invasiv“ in die bestehende Technikinstallation eingegriffen werden, hob der Jurist hervor.

Prof. Dr. Arno Dentel von der Fakultät Maschinenbau und Versorgungstechnik der TH Nürnberg referierte über Energie- und lastflexible Gebäude- und Anlagenkonzepte. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg
Setzt auf angewandte Künstliche Intelligenz, um Wärmenetze datenbasiert zu optimieren: Ralph Prudent von der WissenskapitalEnergie GmbH. Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

Nachhaltiges Bauen auch für Staatsstellen und Schulen

Auf den von Bayerns Bauminister Bernreiter vorgezeichneten Weg, „bei staatlichen Gebäuden voran zu schreiten“, sind Nordbayerns Bau-Vordenker ohnehin schon lange eingeschwenkt.

Für das Staatsministerium des Innern in München wurde der Teilneubau in Passivhausbauweise vom Bauphysik-Team von „ING+ARCH“ projektiert. Auch die Gebäude der Polizeidirektion in Hösbach/Unterfranken wurden in einem Energiestandard nahe dem Passivhausstandard realisiert, wie die Passivhausexpertin Pia Regner in ihren Beispielen aus der Metropolregion Nürnberg zeigte.

Wärmewende – nicht nur an Neubauten

Es gab am Wärmewendetag also viel über weithin sichtbare und anerkannte Beweise aus und in der ENERGIEregion Nürnberg zur Gebäude-Energiekompetenz zu erfahren. Diese gilt es aber nicht nur bei Neubauten zu beweisen.

„Der Hausbestand verbraucht europaweit ca. 40 Prozent der gesamten bereitgestellten Energie. Und die Hälfte der Häuser, die vor 1980 errichtet wurden, ist ohne ausreichende Dämmung. Die Sanierungsquote von heute unter einem Prozent pro Jahr sollte dringend gesteigert werden“, erklärte Krcmar. Für die thermische Ertüchtigung von Altbauten eignen sich u.a. die im „Herzo Base“-Projekt verwendeten Calostat-Platten, da diese infolge der sehr guten Wärmedämmeigenschaften in „minimalinvasiver“ Schichtstärke eingesetzt werden können.

Eines dieser Gebäude mit Vorzeigestandard ist das staatliche Berufsschulzentrum Ansbach, das mit dem Energiekonzept von ING+ARCH in Plusenergiebauweise mit minimalen Investitions-Mehrkosten von 1,2 Prozent realisiert wurde. Eine Übereinstimmung der Energie- Bedarfsberechnungen mit den Verbrauchsberechnungen während der ersten Nutzungsjahre bestätigt das sehr wirtschaftliche Konzept, erläuterte die Bauingenieurin Pia Regner.

Passivhausexpertin Pia Regner (r.) im Gespräch mit Moderatorin Ines Eichmüller (ENERGIEregion). Screenshot: ENERGIEregion Nürnberg

Hardware made in Franken

Ganz ohne Hardware geht Wärmewende jedenfalls nicht. Die ENERPIPE GmbH aus Hilpoltstein steht nicht nur für Nahwärmerohrsysteme, sondern für „innovative, effiziente Konzepte und entsprechende Systemtechnik im Bereich Wärmenetze“, wie Andreas Winkler erläuterte: „Verbundlösungen werden immer wichtiger. Mit einem Wärmenetz ist dafür die Grundlage gelegt.“ Und zwar nicht nur am Land, sondern auch in der Stadt: „Da gilt es, Abwärme stärker zu nutzen.“

Energieberaterin Jutta Betz vom Deutschen Energieberater-Netzwerk e.V. gab ihm grundsätzlich recht, empfahl aber „für Quartiere auch kalte Wärmenetze“. Und sie forderte: Bei Neubau und Sanierung muss künftig auch die "graue Energie" für Herstellung und Entsorgung mit berücksichtigt werden. Ein Dämmstoff spielt allerdings seine Herstellungsenergie durch Vermeiden von Heizenergie innerhalb kurzer Zeit wieder ein. Was Ines Eichmüller von der ENERGIEregion zu der Zusammenfassung veranlasste: „Wie man gesehen hat: Für die Wärmewende braucht es noch viel gemeinsame Kraftanstrengung. Forschung, Technik, Firmen, Eigentümer*innen, politische Weichenstellungen: Alle müssen zusammenwirken und sich anstrengen. Aber sie ist alternativlos.“

Als Abschluss ist im Juni eine Feier geplant, die – so Dr. Jens Hauch – „wieder einmal Wissensaustausch und Vernetzung in Präsenz möglich machen soll“.

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